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„Erst das Land, dann das Unternehmen.“

Veröffentlicht am 26. Februar 2024

„Wenn es aber stimmt, will ich, dass Putin und seine ganze Entourage, Putins Freunde und seine Regierung wissen: Sie werden zur Verantwortung gezogen für das, was sie unserem Land, meiner Familie und meinem Ehemann angetan haben. Und dieser Tag wird sehr bald kommen. Und ich möchte an die gesamte Weltgemeinschaft appellieren, an alle hier im Raum und Menschen weltweit, dass wir uns vereinen und dieses Böse besiegen, dieses schreckliche Regime, dass es jetzt in Russland gibt.“

Julija Nawalnaja, 16. Februar 2024, Münchner Sicherheitskonferenz

Dieser Blog war eigentlich geschrieben und wurde am Freitag, 16.02.2024 gegen die Mittagszeit an einige Beteiligte zur Prüfung geschickt. Im Laufe des Nachmittags kamen dann erste Meldungen zum Tod von Alexej Nawalny.

Es ist beschämend, dass die Organisation Nawalnys seit Jahren eine Liste pflegt, die „Putin und seine ganze Entourage, Putins Freunde und seine Regierung“ explizit benennt und veröffentlicht. Unter anderem für diese Arbeit ist Alexej Nawalny gestorben und seine Mitstreiter*Innen arbeiten überwiegend aus dem Exil. Bis heute aber befindet sich nur ein Bruchteil dieser von der Anti-Corruption-Foundation (ACF) gelisteten Namen u.a. auf den offiziellen Sanktionslisten der EU.

Wenn man wirklich die Arbeit russischer Oppositioneller – so lange noch welche am Leben sind – unterstützen möchte, dann vielleicht dadurch, dass man ihre Arbeit anerkennt, berücksichtigt und wertschätzt. Das wäre Alexej Nawalny wichtiger gewesen, als die jetzige Empörung über seinen Tod.




Am 20.03.2022 veröffentlichte die Welt ein Interview mit Christian Sewing. Das damalige Interview führte Sewing noch unter dem Eindruck des gerade drei Wochen alten russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Sewing sprach u.a. über die Auswirkungen des Krieges auf die deutsche Wirtschaft und die Deutsche Bank. Und er sprach über die Rolle der Deutschen Bank bei der Umsetzung und Wirkung von Sanktionsmaßnahmen gegen Russland.

Dabei sagte Sewing: „Jetzt muss erst recht gelten: erst das Land, dann das Unternehmen. Der Schutz unserer Demokratie und unserer Freiheit ist die beste Basis für Frieden und nachhaltigen Wohlstand in unserem Land und in Europa.“  Er meinte damit ganz offensichtlich, dass wirtschaftliche Unternehmensinteressen hinter dem höheren Ziel der Politik zur Eingrenzung der Aggression Russlands zurücktreten müssen. Ein bemerkenswerter Satz für den CEO der Deutschen Bank.

Und auf die damaligen Sanktionen angesprochen führte Sewing weiter aus: „Wir müssen Sanktionen so setzen, dass sie Russland mehr wehtun als uns. Die Dosierung ist für den Moment genau richtig, selbst wenn wir aus emotionaler Sicht gern mehr tun würden.“

Der Krieg geht in diesen Tagen in sein drittes Jahr. Über 10.000 getötete Zivilisten[1], über 500.000[2] ums Leben gekommene russische und ukrainische Soldaten, 4,2 Millionen Menschen, die vorübergehend Schutz in der EU erhalten[3], immer noch 18 Prozent durch Russland besetztes ukrainisches Staatsgebiet[4], über 85 Milliarden Euro Unterstützung der EU[5] und bis dato 13 EU-Sanktionspakete gegen Russland.

Die Sanktionen sind massiv. Die EU-Sanktionen gelten für circa 2.300 Personen und Einrichtungen. Vermögenswerte in Höhe von 21,5 Milliarden Euro wurden in der EU eingefroren. Ca. 300 Milliarden Euro der Russischen Zentralbank wurden in der EU und G7-Staaten blockiert. Ausfuhren nach Russland im Wert von 43,9 Milliarden Euro und Einfuhren aus Russland im Wert von 91,2 Milliarden Euro wurden sanktioniert[6].

Und trotzdem scheinen die Sanktionen nach wie vor nicht die gewünschte Wirkung zu entfalten. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schreibt am 04.02.2024 in ihrem Artikel „So schrecken wir Russland nicht ab“ sogar „…westliche Sanktionen umgeht es (Russland) laut Beobachtern inzwischen problemlos.“

Die Sanktionen haben grundsätzlich zwei Zielrichtungen. Erstens: Treibe den wirtschaftlichen Preis so hoch, dass eine Verhaltensänderung Russlands erzwungen wird. Zweitens: Übe zielgerichtet und massiv Druck auf die herrschende Elite und ihre Unterstützerkreise aus, um das innere System Putins zu beschädigen und Risse und Widerspruch zu provozieren.

Dieser zweite Aspekt ist wichtig und wird deshalb u.a. von der NPO Anti-Corruption-Foundation Inc. (ACF)[7] betrieben. Die Organisation wurde vom derzeit inhaftierten (das war der ursprüngliche Text) getöteten Alexei Nawalny und seinem Team gegründet und hat sich u.a. zum Ziel gesetzt, eine vollständige Anzahl von Personen aufzustellen, die Putin unterstützen und damit Teil des Systems sind. Das geht weit über Putins unmittelbare politische Begleiter*Innen oder russische Oligarchenstrukturen hinaus, die auch Gegenstand offizieller Sanktionslisten sind.

Wir sprechen auch über die zweite und dritte Eben des Systems. Mitglieder*Innen in öffentlichen Kammern. Staatliche Organisationen. Propagandist*Innen. Kriegsorganisator*Innen. Korrupte Kreise. Chefredakteur*Innen, Management regionaler Fernsehsender. Bevollmächtigte des Präsidenten bei Wahlen. Hochrangige Beamt*Innen der russischen Föderation. Regionale Gouverneure. Führende Parteifunktionär*Innen. Organisator*Innen von Wahlbetrug. Et cetera. Diese Personenkreise müssen ebenfalls unter Druck gesetzt werden, weil sie wichtig sind für das Funktionieren von Putins Russland.

Aktuell befinden sich in der Full Sanctions List des ACF knapp 8.000 Einträge[8]. Nochmal zum Vergleich: 8.000 Einträge listet allein die ACF, die EU-Sanktionen gegen Russland gelten für ca. 2.300 Personen und Einrichtungen.

Eine weitere relevante Liste für Sanktionen gegen Russland sollte die Sanktionsliste[9] der Ukraine als angegriffenes Land sein. Auf dieser Liste befinden sich insgesamt 12.231 Einträge (Stand: 21.02.2024). Unter der Fußnote 9, die auf die Sanktionsliste der Ukraine verweist, kann man auch einen schönen Vergleich zwischen den einzelnen Sanktionen sehen:

Und hier kommen die Banken ins Spiel. Wieviel wollen sie in eigener unternehmerischer Verantwortung dazu beitragen, den russischen Aggressionskrieg einzugrenzen? Tun sie alles, was sie tun könnten? Die Antwort ist: Nein. Sie tun mehr oder weniger wahrscheinlich genau das, was sie tun müssen, um Strafen wegen Sanktionsvergehen zu vermeiden. Wir können davon ausgehen, dass sich die meisten Banken bei ihren Sanktionsprüfungen auf die offiziellen Sanktionslisten der UN, EU, USA, und UK beschränken. Eventuell ergänzt durch lokal eingeforderte Listen (zum Beispiel für in der Schweiz aktive Banken die SECO-Liste). Wenige Institutionen werden mehr machen, einige wahrscheinlich weniger.

So fordert beispielsweise die Wolfsberg Group - ein Zusammenschluss von 12 großen, weltweit aktiven Banken, mit dem Ziel, Vorgaben für das Risikomanagement zur Bekämpfung der Finanzkriminalität zu entwickeln – in ihrer „Guidance on Sanctions Screening[10]“ zur „List selection - determine which sanctions related lists are relevant for screening. This should include regulatory lists, for example, the OFAC and E.U. lists, as well as other lists designed to comply with regulatory requirements and to manage risk.” So weit, so unbestimmt. Konkreter wird die Wolfsberg Group im Rahmen des sogenannten „Correspondent Banking Due Diligence Questionnaire (CBDDQ)[11]“. Hier werden unter Frage 106 ganz explizit die Listen der UN, EU, OFAC (US) und OFSI (UK) aufgeführt, plus der Möglichkeit, eine weitere "List maintained by other G7 member countries" zu benennen. Unter anderem darauf werden sich die Banken zurückziehen – das sind die Muss-Listen, alles andere bleibt „Kann“...

Ziehen wir den Kreis noch etwas größer. Das Berliner Unternehmen OpenSanctions kombiniert Sanktionslisten, Datenbanken mit politisch exponierten Personen und andere Informationen über Personen von öffentlichem Interesse in einem einzigen, leicht zu nutzenden Datensatz. OpenSanctions ist im Unterschied zu anderen Datenanbietern open source und transparent in seinen Daten und Screeningfaktoren.

Ich habe OpenSanctions gebeten auszuwerten, wie viele Einträge / Targets die Auswahl von fünf Sanktionslisten UN, EU, OFAC (US), OFSI (UK) und SECO (CH) beinhalten und wie viele Einträge / Targets alle bei OpenSanctions verfügbaren Quellen im Kontext Russlandsanktionen haben. Das Ergebnis mit Stand 24.01.2024 lautet: Zu den genannten fünf Sanktionslisten befinden sich 5.439 Entitäten im OpenSanctions Datenbestand. Insgesamt befindet sich etwa das Dreifache in den Daten, nämlich genau 15.860 Entitäten.

Ich habe weiter die Anti-Corruption-Foundation gebeten, mir einige Beispiele von Personen zu nennen, die zwar Gegenstand ihrer „List of bribetakers and warmongers“ (diese Liste ist ebenfalls eine Quelle von OpenSanctions) sind, nicht aber in den oben genannten Sanktionslisten berücksichtigt werden. Aber aus Sicht des ACF unbedingt gelistet werden müssten, weil sie Teil des System Putins sind: 

  • Mikhail Yuryevich Volkov - Generaldirektor von OJSC Russian Post
  • Igor Swjatoslawowitsch Neverow - Leiter der Direktion für Außenpolitik der Präsidialverwaltung der Russischen Föderation
  • Pjotr Pawlowitsch Birjukow - Stellvertretender Bürgermeister von Moskau
  • Gennady Bukayev - Generaldirektor von Rosneftegaz
  • Aleksey Sergeevich Goreslavsky - Leiter des Instituts für Internetentwicklung, verantwortlich für die Organisation der Zensur im Internet
  • Gutseriev Said Mikhailovich - Russischer Oligarch (bereits sanktioniert durch UK)
  • Vladimir Petrovich Evtushenkov – Russischer Oligarch (bereits sanktioniert durch UK und Australien)
  • Yentaltseva Marina Valentinovna - Partnerin von Alexei Miller, Nutznießerin der Korruption von PJSC Gazprom und seinen Tochtergesellschaften
  • Igor Anatolievich Zelensky - Schwiegersohn von Vladimir Putin, Ehemann von Putins Tochter Yekaterina Tikhonova
  • Svetlana Krivonogikh - Putins Geliebte, aktuell Aktionärin der Rossiya Bank

Wenn also Bankenvertreter*Innen sich äußern, dass man gerne alles tun möchte, weil „Der Schutz unserer Demokratie und unserer Freiheit die beste Basis für Frieden und nachhaltigen Wohlstand in unserem Land und in Europa ist.“, dann ist das möglich. Indem man möglichst viele Quellen nutzt, um die eigenen Kund*Innen, Transaktionen und Geschäfte zu analysieren. Um Verbindungen zu Personen oder Firmen festzustellen, bei denen Tatsachen vorliegen, die darauf hindeuten, dass es sich dabei um Unterstützer*Innen und / oder Profiteur*Innen des System Putins handeln könnte.

Und zwar in dem für die Banken bekannten Dreiklang, bestehend aus (1) Kundenscreening, (2) Transaktionsfilter und (3) Investigation / Verdachtsmeldungen.

  1. Kundenscreening: Vermutlich prüfen die Banken bei der Neukundenannahme und laufendem Kundenscreening tatsächlich mehr Listen, weil Datenanbieter, mit denen die Häuser arbeiten, oben genannte zusätzlichen Quellen integriert haben, insbesondere dann, wenn sie in diesem Kontext das sogenannte „Negative Media Screening“ berücksichtigen. Insofern ist dieser Bereich bei vielen Instituten gut abgedeckt.
  2. Transaktionsfilter: Hier wird (freiwilliger) Mehraufwand sehr, sehr ungern gesehen. Die Realtime-Filtereinstellungen sind mehr oder weniger heilig und nur sehr wenige Institute mit signifikantem Zahlungsverkehr dürften operatives Risiko und freiwilligen Mehraufwand in Kauf nehmen, um einen möglichst großen Kreis von Unterstützern des Systems Putin – außerhalb der notwendigen offiziellen Sanktionslisten – abzudecken.  
  3. Investigation / Verdachtsmeldungen: Würde das Monitoring der Banken auf die SWIFT-Nachrichten ausgelegt (nicht nur Kontobuchungen), könnte eine nachgelagerte (um die Aufwände beim Realtime-Filter zu begrenzen) Investigation nach zusätzlichen Namen / Keywords sehr wirksam sein. Solche nachgelagerten konkreten Namensermittlungen dürften deutlich effektiver sein als viele der heute implementierten Regeln in den Transaktionssystemen der Banken. Und daraus resultierende Verdachtsmeldungen an die FIU und Strafverfolgungsbehörden einen hohen operativen Mehrwert haben.

Aber man muss die Annahme treffen, dass die meisten Häuser (freiwillige) Mehraufwände nicht eingehen, so richtig und wichtig diese auch wären. Und irgendwie kann man die Banken ja auch (fast) verstehen. Vielleicht würden sie diese operativen Aufwände gerne machen. Sie sind aber so zugeknallt mit oft sinnbefreiten administrativen Aufwänden, die aus regulatorischen Anforderungen entstehen und dann regelmäßig auf ihre Einhaltung geprüft werden, dass sie von (freiwilligen) eigentlich gebotenen Maßnahmen, die dazu noch eine echte Wirksamkeit entfalten, die Finger lassen.

Und trotzdem. Bei dem, was hier auf dem Spiel steht und was die Banken öffentlich äußern, müssen sie in diesen „Schmerz“ gehen, wenn sie ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden wollen. Gerade (Sanktions-)Listen taugen wie wenig andere Instrumente zur effektiven, wirksamen Bekämpfung der Finanzkriminalität. Eben weil konkrete Namen von Unternehmen und Personen zur Verfügung stehen. Wie viel mehr administrativen, teuren Aufwand betreiben verpflichtete Unternehmen wegen regulatorischer und gesetzlicher Anforderungen, mit deutlich geringerer Wirksamkeit?

Wir sind heute, der russische Angriffskrieg geht in diesen Tagen bereits in sein drittes Jahr, leider in einer Situation, in der der die Unterstützung für die Ukraine bereits nachlässt. Die Signale aus dem Präsidentschaftswahlkampf in den USA sind ebenfalls verstörend. Mittel werden nicht freigegeben. Die Lieferung militärisch notwendiger Güter verzögert sich. Russland erzielt seit Monaten wieder militärische Erfolge. Die Zeit scheint für Russland zu laufen.

Also wäre es (spätestens) jetzt an der Zeit, dass u.a. Banken nicht nur aus „emotionaler Sicht“, sondern ganz tatsächlich mehr tun. Einfach den so richtigen Satz „Jetzt muss erst recht gelten: erst das Land, dann das Unternehmen. Der Schutz unserer Demokratie und unserer Freiheit ist die beste Basis für Frieden und nachhaltigen Wohlstand in unserem Land und in Europa.“ mit Leben füllen und proaktiv mehr machen, auch wenn das zu mehr Aufwand und Kosten in der Organisation führen wird.

Alexey Nawalny wurde in der 2022 erschienenen Dokumentation „Nawalny“[12] abschließend gefragt, was seine Nachricht ist, für den Fall, dass er getötet wird:

„Hört zu, ich muss euch etwas sehr Wichtiges sagen. Ihr dürft nicht aufgeben! Wenn sie entscheiden, mich umzubringen, heißt das, wir sind unglaublich stark. Diese Kraft, nicht aufzugeben, müssen wir nutzen. Denkt daran, dass wir eine riesige Macht sind, die von diesen bösen Kerlen unterdrückt wird. Wir erkennen gar nicht, wie stark wir tatsächlich sind. Alles, was das Böse braucht, um zu siegen, sind gute Menschen, die nichts tun. Also, bleibt nicht untätig!“

Vielen Dank für die Unterstützung an die OpenSanctions Datenbanken GmbH.
Vielen Dank für die Unterstützung an die Anti-Corruption-Foundation (ACF).
Vielen Dank für die Unterstützung an Tassilo Amtage.
Vielen Dank an Jens Koch, dass ich das Foto von Alexej Nawalny verwenden durfte.

 

[1] https://ukraine.un.org/en/253322-civilian-deaths-ukraine-war-top-10000-un-says

[2] https://www.theguardian.com/world/2023/aug/18/ukraine-russia-war-battlefield-deaths-rise

[3] https://www.consilium.europa.eu/de/infographics/ukraine-refugees-eu/

[4] https://www.cfr.org/global-conflict-tracker/conflict/conflict-ukraine

[5] https://www.consilium.europa.eu/de/infographics/eu-solidarity-ukraine/

[6] https://www.consilium.europa.eu/de/policies/sanctions/restrictive-measures-against-russia-over-ukraine/sanctions-against-russia-explained/#sanctions

[7] https://acf.international/

[8] https://acf.international/list-of-war-enablers

https://sanctions.nazk.gov.ua/en/

[10] https://db.wolfsberg-group.org/assets/4b6c2db6-696d-492e-bdd5-c51552708597/Wolfsberg%20Guidance%20on%20Sanctions%20Screening.pdf

[11] https://db.wolfsberg-group.org/assets/3964cedf-a462-4e55-a1e7-ca7c70dfa7ec/CBDDQ%20v1.4.pdf

[12] Quelle: Dogwoof / CNN Films / HBO Max

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