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Die Unverzüglichkeit der Fallbearbeitung endet bei der FIU oder vom zweierlei Maß in der Geldwäschebekämpfung.

Veröffentlicht am 5. November 2022

Es gibt keine Gleichbehandlung im Unrecht. Gut, dass es diese juristische Argumentationsweise gibt. Zumindest für die Financial Intelligence Unit (FIU) und ihre Leitung.

Aber lassen Sie uns kurz mit zwei, drei gesetzlichen Anforderungen beginnen.

Der § 43 GwG fordert von verpflichteten Unternehmen des GwG die unverzügliche Erstattung von Verdachtsmeldungen.[1] Unverzüglich bedeutet ein Handeln ohne schuldhaftes Zögern. Es gibt weder von Gesetzgeber noch von der BaFin eine konkrete zeitliche Bestimmung. Der Beginn der Unverzüglichkeitsfrist ist fallabhängig. Verpflichtete Unternehmen haben organisatorische Maßnahmen (Personal, Prozesse, Ausstattung etc.) sicherzustellen, die eine unverzügliche Fallbearbeitung ermöglichen.  

Die FIU hat nach § 28 (1) GwG die Aufgabe, Meldungen entgegenzunehmen und zu sammeln (Ziff. 1), diese Meldungen und sonstige Informationen operativ zu analysieren und zu bewerten (Ziff. 2) und die daraus gewonnenen Ergebnisse ggf. an die zuständigen öffentlichen Stellen zu übermitteln (Ziff. 3). Liegen niederschwelligste Hinweise auf Straftaten vor, sind alle Informationen nach § 32 GwG unverzüglich an das Bundesamt für Verfassungsschutz (Abs. 1) oder unverzüglich an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden und ggf. den Bundesnachrichtendienst (Abs. 2) zu übermitteln.

Vereinfacht kann man sagen, dass die verpflichteten (privaten) Unternehmen alles tun müssen, um die unverzügliche Erstattung von Verdachtsmeldungen sicherzustellen und die FIU ihrerseits als (staatliche) Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen die unverzügliche Analyse der Meldungen und Weiterleitung an die relevanten inländischen Behörden garantieren muss.

Beide Player müssen unverzüglich agieren. Alles andere würde auch keinen Sinn ergeben.   

Lassen Sie uns jetzt für beide Seiten beispielhaft ein paar Veröffentlichungen betrachten:

Zuerst zur FIU:

  • 12. Dezember 2017: Der Spiegel berichtet, dass sich innerhalb weniger Monate eine gewaltige Menge Verdachtsmeldungen angestaut haben, mehr als 24.000 Meldungen würden dort auf Halde liegen. In dem Artikel ist u.a. die Rede von einer „sicherheitspolitischen Katastrophe“ (Sebastian Fiedler, damals stellv. BDK-Bundesvorsitzender).[2]
  • 09. August 2018: In dem Artikel „Die unerträgliche Langsamkeit des Zolls“ berichtet der Spiegel neben organisatorischen Mängeln in der Fallbearbeitung erneut über „eine neue Halde von 20.000 – 30.000 Meldungen“.[3]
  • 11. Februar 2020: Das Handelsblatt berichtet davon, dass die wichtige Anti-Geldwäsche-Einheit FIU laut Bundesfinanzministerium ihre Probleme langsam in den Griff bekommt. Die FIU würde seit Jahren mit erheblichen Problemen kämpfen und einen Berg unbearbeiteter Verdachtsfälle vor sich herschieben. Zum Jahresende 2019 wären aber nur noch 30.000 Fälle in Bearbeitung, drei Monate zuvor waren es noch 48.000.[4]
  • 14. Juli 2020: U.a. die Süddeutsche Zeitung berichtet von Durchsuchungen der StA Osnabrück bei der FIU. Wegen der nicht oder zu spät erfolgter Weiterleitung von Verdachtsmeldungen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen mehrere Verantwortliche der FIU wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt.[5]
  • 16. Februar 2022: Der Deutsche Bundestag berichtet: „Trotz einer stark gestiegenen Zahl von Geldwäscheverdachtsmeldungen hat die „Finance Intelligence Unit“ (FIU) des Zolls derzeit keine Bearbeitungsrückstände.“[6]
  • 25. August 2022: Die FATF veröffentlicht ihren Prüfbericht zur Bekämpfung der Geldwäsche in Deutschland. In den Ausführungen zur FIU berichtet die FATF von keinem Rückstau.
  • 24. Oktober 2022: Zwei Monate nach Veröffentlichung des FATF-Berichts schreibt u.a. die FAZ, dass „die FIU es einmal mehr nicht schafft, die vielen Meldungen zeitnah abzuarbeiten.“ Und weiter „In einem Brief an den Bundestag berichtet die Parlamentarische Finanzstaatssekretärin Katja Hessel (FDP) von fast 101. 000 Verdachtsfällen, die nicht abschließend geprüft wurden.“[7]

Und jetzt zu den verpflichteten Banken:

  • 13. Dezember 2012: Die FAZ berichtet darüber, dass für vier von fünf Mitarbeitern der Deutschen Bank weiter Untersuchungshaft wegen des Verdachts der Geldwäsche und Vertuschung angeordnet wird. Bei den Inhaftierten handelte es sich damals auch um einen Mitarbeiter der Compliance Abteilung. Gegenstand des Vorwurfs waren u.a. zu spät oder nicht erstattete Verdachtsmeldungen.[8]
  • 24. Juni 2016: Die Zeit berichtet über ein Rekordbußgeld i.H.v. 40 Millionen Euro, das die BaFin gegen die Deutsche Bank angeordnet hat. Das Bußgeld wurde u.a. wegen zu spät oder nicht erstatteter Verdachtsmeldungen fällig.[9]
  • 25. Oktober 2018: Der Beck-Verlag verweist auf einen Beschluss des OLG Frankfurt am Main, wonach das Gericht mehrere Buß­gel­der gegen eine Geldwäschebeauftragte einer internationalen Großbank wegen Verstoßes gegen die Pflicht zu unverzüglichen Ver­dachtsmeldungen bestätigt.[10] 
  • 29. September 2021: Nach einem Artikel der Süddeutschen Zeitung zahlt die Neobank N26 ein Bußgeld i.H.v. 4,25 Millionen Euro u.a. wegen zu spät erstatteter Verdachtsmeldungen.[11]
  • 22. Juli 2022: Und noch einmal die Deutsche Bank. Sie muss nach bereits erfolgten Durchsuchungen im April 2022 ein Bußgeld von 7,01 Millionen Euro wg. zu spät erstatteter Verdachtsmeldungen im Zusammenhang mit Transaktionen an den Assad-Clan bezahlen.[12]

Sowohl bei den Banken als auch bei der FIU geht es um nicht erstattete, zu spät erstatte bzw. liegen gebliebene, nicht bearbeitete, nicht oder zu spät weitergeleitete Verdachtsmeldungen.

So weit, so gut. Aber fällt Ihnen etwas auf?

Genau. Auf Seiten der nach dem Gesetz verpflichteten privaten Unternehmen wird relativ konsequent gehandelt. Durch die Aufsicht. Durch die Strafverfolgung. Mit Bußgeldverfahren, signifikanten Bußgeldzahlungen, strafrechtlichen Ermittlungen, strafprozessualen Maßnahmen bis hin zur Anordnung von Untersuchungshaft. Darüber hinaus werden in diesen Fällen Sonderprüfungen durch die BaFin nach § 44 KWG angeordnet und es werden bankenintern oder auf „Empfehlung“ der Aufsicht personelle Konsequenzen gezogen. Es werden strafrechtliche Ermittlungen gegen Angestellte der Häuser u.a. wegen des Verdachts auf Beihilfe zur Geldwäsche durch Unterlassen (eben dem nicht oder zu späten Erstatten von Verdachtsmeldungen) geführt, sie werden im öffentlichen Raum festgenommen, vernommen, es wird bei ihnen zu Hause durchsucht. Das sind massive Eingriffe des Staates. Damit verbundene Reputationsschäden, Kursabschläge an der Börse oder die Begrenzung von Geschäftsaktivitäten – geschenkt.

Und um es gleich vorwegzunehmen: Das ist in den meisten Fällen richtig und wichtig. Ob einzelne Maßnahmen dabei immer angemessen waren, ist eine andere Diskussion.

Aber ich finde es der Sache völlig abträglich und ungerecht (ja ich weiß, der Einleitungssatz…), wenn diese Konsequenz nicht in gleichem Maße bei der vordergründig wichtigsten und zentralen staatlichen Institution zur Geldwäschebekämpfung Anwendung findet. Der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen. Ganz im Gegenteil. Müsste an diese staatliche Institution nicht ein noch viel strengerer Maßstab angelegt werden, als bei den privaten Unternehmen?

Es kann doch nicht sein, dass diese Behörde seit 2017 regelmäßig und in abertausenden Fällen ihrem gesetzlichen Auftrag nicht nachkommt. Offensichtlich durch personelle, prozessuale und organisatorische Defizite. Bei einem ähnlichen Verhalten von Banken gibt es dafür einen feststehenden Begriff, der eigentlich unmittelbar bußgeldbewährt ist – „Organisationsversagen“. Und bei diesem Vorwurf würde unmittelbar das Senior Management, der/die Geldwäschebeauftragte und der zuständige Vorstand im Fokus stehen.

Stellen wir uns mal vor, die Presse berichtet darüber, dass bei irgendeiner deutschen Bank tausende von Verdachtsmeldungen unbearbeitet liegen. Auf Halde. Halleluja. Die Folge wären natürlich – und mit Recht – die Einleitung einer Sonderprüfung, eines Bußgeldverfahrens und mutmaßlich auch strafrechtliche Ermittlungen.

Und bei der FIU? Ja, es gibt seit 2020 strafrechtliche Ermittlungen wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt. Aber um dieses Verfahren steht es nicht gut. Und die mutige StA Osnabrück muss sich zum Teil gegen massive öffentliche Angriffe (von Politikern) verteidigen. Und wieso eigentlich nur Strafvereitelung im Amt? Was ist mit analogen Ermittlungen wegen des Verdachts der Beihilfe zur Geldwäsche durch Unterlassen? Was ist mit Sonderprüfungen? Was ist mit personellen Konsequenzen auf Leitungsebene?

Dieses zweierlei Maß kann niemanden gegenüber erklärt werden. Am wenigsten den Beschäftigten in Compliance-Bereichen der nach dem GwG verpflichteten Unternehmen.

Nach § 28 (2) GwG untersteht die FIU der Rechtsaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen. Das bedeutet Kontrolle und das Einschreiten und das Ziehen von Konsequenzen bei der Feststellung von Defiziten und bei (fortlaufenden) Verstößen gegen gesetzliche Anforderungen. Es würde wirklich Zeit für konsequentes Handeln, Herr Lindner. Das würde auch dazu gehören, wenn man von einem „Paradigmenwechsel“ oder dem „Mut zum großen Wurf“ bei der Geldwäschebekämpfung spricht. Einfach mal in der eigenen Zuständigkeit gesetzeskonformes Handeln sicherstellen.

Es muss doch jedem klar sein, dass die aktuell gemeldeten über 100.000 von der FIU unbearbeiteten Meldungen – und das ist nur die Spitze des Eisberges, da im Informationspool unzählige weitere Verdachtsmeldungen liegen, die lediglich nicht von der Schlagwortsuche der FIU erkannt wurden, aber Hinweise auf Straftaten enthalten – jemals abgearbeitet werden können. Der Rückstau wurde trotz massiver Personalzuführung angehäuft. Wie sollen über 100.000 Meldungen bei weiter steigenden Fallzahlen dann plötzlich abgearbeitet werden? Auch hier würde bei Banken ganz klar anders gehandelt. Die BaFin würde die Banken dazu zwingen, diesen Backlog an unbearbeiteten Fällen so schnell wie möglich abzuarbeiten und ihr permanent über den Fortschritt zu berichten. 

Und abschließend vielleicht noch ein Gedanke. Ist es Zufall, dass zu Beginn des Jahres 2022, als die laufende FATF-Prüfung Deutschlands auf der Zielgeraden war, gemeldet wird, dass es keine Rückstände bei der Fallbearbeitung der in der Kritik stehenden FIU gibt? Und gerade einmal acht Wochen nach Veröffentlichung des Berichts (25. August 2022) besteht ein Rückstau von über 100.000 unbearbeiteten Meldungen? Die sind innerhalb von 8 Wochen entstanden? Hat man die Prüfer*Innen der FATF getäuscht?

Es ist überfällig, dass das Bundesfinanzministerium seiner Aufsichtsfunktion gerecht wird. Es ist überfällig, dass der Bundestag aus den falschen oder jedenfalls irreführenden Aussagen von BMF und FIU (u.a. gegenüber dem Finanzausschuss) endlich Konsequenzen zieht. Es ist überfällig, dass die Leitung der FIU Verantwortung übernimmt und von Ihren Aufgaben zurücktritt oder dazu gebracht wird. Es ist überfällig, dass Organisation und Prozesse der FIU ergebnisoffen geprüft werden, damit sie über fünf Jahre nach ihrem vermurksten Start endlich ihrem gesetzlichen Auftrag vollumfänglich nachkommt.


Danke fürs Lesen.

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[1] Herzog, GwG, Geldwäschekommentar, 4. Auflage, Seite 733, Ziff. 5. Unverzüglichkeit der Verdachtsmeldung

[2] https://www.spiegel.de/panorama/justiz/tausende-geldwaesche-meldungen-stauen-sich-beim-zoll-a-1182789.html

[3] https://www.spiegel.de/panorama/justiz/geldwaesche-spezialeinheit-des-zolles-arbeitet-zu-schlecht-und-zu-langsam-a-1222203.html

[4] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/nach-startproblemen-geldwaesche-sondereinheit-kommt-in-gang-zahl-der-verdachtshinweise-stark-gestiegen/25532884.html

[5] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geldwaesche-zoll-fiu-ermittlung-1.4966644    

[6] https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-881252

[7] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/hunderttausend-geldwaesche-verdachtsfaelle-auf-halde-18410862.html

[8] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/nach-der-razzia-deutsche-bank-mitarbeiter-bleiben-in-u-haft-11992207.html

[9] https://www.zeit.de/wirtschaft/2016-06/ggeldwaesche-deutsche-bank-bafin-strafe-zahlung-finanzaufsicht?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F

[10] https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/olg-frankfurt-am-main-bestaetigt-bussgelder-gegen-geldwaeschebeauftragte-wegen-zu-spaeter-verdachtsmeldungen

[11] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/n26-bafin-geldwaesche-1.5425436

[12] https://www.deraktionaer.de/artikel/aktien/deutsche-bank-zahlt-strafe-fuer-razzia-im-april-20253640.html

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