Das Thema Geldwäsche im Bundestagswahlkampf 2025.

Veröffentlicht am 29. Januar 2025
Bundestagswahlkampf 2025: Mir ist schon klar, dass das Thema „Bekämpfung von Geldwäsche und Finanzkriminalität“ nicht im Fokus der Parteien steht. Auf der anderen Seite – warum eigentlich nicht?
In einer Zeit, in der dieser Staat vor enormen Herausforderungen steht und es ein anstrengender Diskurs zwischen progressiven und konservativen Parteien ist, wie diese Herausforderungen zu finanzieren sind, sollten doch zuerst Handlungsfelder wichtig sein, auf die sich mutmaßlich alle einigen könnten – sowohl die Parteien als auch Gesellschaft und Bevölkerung.
Und ich nehme einfach mal an, die so simple wie klare Forderung „Verbrechen darf sich nicht lohnen!“ ist grundsätzlich und parteiübergreifend konsensfähig. Dass die Bürger:innen sie verstehen und unterstützen. Weil sie richtig ist. Weil sie gerecht ist.
Alle Parteien gehen mehr oder weniger stark auf das Thema Innere Sicherheit. Mit Ausnahme von AfD und BSW wird das Thema Geldwäsche auch explizit benannt. Und bis auf das BSW (was verwundert, weil sie mit Fabio de Masi einen ausgewiesenen Experten in ihren Reihen haben) benennen alle Parteien konkrete Maßnahmen, wie aus ihrer Sicht inkriminierte Vermögen eingezogen werden können oder Finanzkriminalität besser bekämpft werden soll.
Im Zentrum der Forderungen stehen eine veränderte Sicherheits- und Behördenstruktur, die Weitererntwicklung des Transparenzregisters, die verbesserte Ausstattung von Strafverfolgungsbehörden und Justiz sowie die Vereinfachung der Einziehung inkriminierter Vermögenswerte. So weit, so erwartbar.
Ein Überblick darüber, wie die Parteien in ihren Programmen für die Bundestagswahl 2025 das Thema Bekämpfung der Geldwäsche aufgreifen, findet Ihr auf der Seite Infos.
Aber keine der Parteien greift es als das Thema auf, was es aus meiner Sicht tatsächlich ist. Nämlich ein großes Gerechtigkeitsthema. Und warum es so wichtig und richtig wäre, dass der Staat diesem Thema eine besondere Priorität einräumt.
Weil der Staat zuerst alles tun müsste, um denjenigen, die sich nicht am Gelingen der Gesellschaft beteiligen, sondern diese durch Straftaten beschädigen, ihre (inkriminierten) Vermögen wegzunehmen und sie der Gemeinschaft wieder zuzuführen.
Um länger diejenigen vor Subventionsabbau, Einsparungen und Kürzungen zu schützen, die durch ehrliche Arbeit oder anderweitig zum Gelingen der Gesellschaft beitragen.
Dieses Prinzip wäre gerade heute wichtig, wenn Staat und Gesellschaft vor so unvorstellbar großen Herausforderungen stehen und der Zusammenhalt der Gesellschaft bröckelt.
Heribert Prantl schreibt in der SZ in einem Artikel über die Folgen der Zeitenwende für den Sozialstaat[1]. Dass zu wenig Geld da ist. Für Kinder- und Jugendförderung, soziale Arbeit oder die Kindergrundsicherung. Der Staat bräuchte Geld dringender denn je und muss neue Einnahmequellen erschließen. Es wäre also die Chance für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, inkriminierte Vermögen zu sichern und Rahmenbedingungen zu stören, die ein Verstecken dieser Vermögen erleichtern.
Ein paar Zahlen:
- Auch wenn die Werthaltigkeit der Zahl diskutabel ist, Stand heute ist es die einzig verfügbare Zahl zum Volumen der Geldwäsche in Deutschland: 100 Milliarden Euro pro Jahr[2].
- Das BKA beziffert die vorläufige Sicherung inkriminierter Vermögen aus Ermittlungsverfahren (642) gegen die Organisierte Kriminalität in 2023 auf 83 Millionen. Im Durchschnitt der letzten 10 Jahre waren es jährlich 102.6 Millionen Euro[3]. Das Land Nordrhein-Westfalen sichert 2023 bei Finanzermittlungen vorläufig 92 Millionen Euro[4], Hessen schöpft 2023 gut 18,1 Millionen ab[5]. Das Bundeskriminalamt (BKA) teilte für das Jahr 2020 mit, bundesweit wurden durch verschiedene Behörden ca. 529 Millionen Euro gesichert[6].
- Europol beziffert die Jahreseinnahmen krimineller Organisationen aus den neun wichtigsten kriminellen Märkten der EU auf 92 – 188 Milliarden Euro[7] und sagt gleichzeitig, die Einnahmen liegen wahrscheinlich deutlich höher. Europol schätzt, dass die Höhe der Vermögen, die Strafverfolgungsbehörden den kriminellen Organisationen entziehen können, bei unter 2 Prozent liegt. Zitat Europol: „Die eingezogenen Erträge sind jedoch nach wie vor nur ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der enormen illegalen – und unversteuerten – Einnahmen krimineller Netzwerke“.[8]
- Schauen wir beispielhaft auf ein paar Ausgaben im Bundeshaushalt[9]: Förderung kommunalen Engagements (46 Millionen Euro), Investition in Schienenwege der Bahn (3 Milliarden Euro), Stärkung der Vielfalt, Toleranz und Demokratie (200 Millionen Euro), Förderung von Investitionen in die digitale Infrastruktur (1,6 Milliarden Euro) oder für das BKA die Ausstattung und Software im Bereich Informationstechnik (69 Millionen Euro).
- Ein anderes Beispiel: In Deutschland gab es 12/2018 insgesamt 340 Frauenhäuser mit ca. 6.400 Plätzen. Lt. Empfehlung der sogenannten Istanbul-Konvention fehlen in Deutschland 750 Frauenhäuser bzw. 15.000 Plätze. Der Bedarf für ein Frauenhaus mit ca. 20 Plätzen liegt bei 778.700, - Euro. Der Gesamtbedarf für eine ausreichende Anzahl von Frauenhäusern liegt bei ca. 848 Millionen Euro[10].
Ich glaube, es ist klar, worauf ich hinaus möchte.
Der Umfang dessen, was kriminelle Organisationen verdienen ist gigantisch. Der Umfang dessen, was wir heute in der Lage sind zu sichern, ist dagegen eine Farce. Das Potential zur Rückführung dieser kriminellen Vermögen in gesellschaftliche und staatliche Bedarfe ist enorm. Und aus einem gerechten Handeln heraus wären Politik und Staat gefordert, dieses Potential auszuschöpfen und dafür die bestmöglichen Voraussetzungen zu schaffen.
Wie es anders gehen kann, zeigt Italien. Die italienische Finanzpolizei teilte 2019 mit, man habe innerhalb von fünf Jahren von mafiösen Organisationen Bargeld, Unternehmen, Immobilien und anderes Vermögen im Wert von 18 Milliarden Euro beschlagnahmt. Dies entspricht einem Prozent von Italiens Bruttoinlandsprodukt (BIP)[11].
Jetzt werden einige sagen, die haben ja auch die Cosa Nostra, die ‘Ndrangheta, die Camorra, die Sacra Corona Unita. Das stimmt, die haben aber auch die italienischen Staatsanwälte, die sehen, wie die Mafia ihr Vermögen in Deutschland investiert und Deutschland als Geldwäscheparadies bezeichnen. Und sie haben vor allem ein System aus rechtlichen Rahmenbedingungen, Strafverfolgung und Justiz gefunden, was es ihnen ermöglicht, derart erfolgreich gegen die Organisierte Kriminalität vorzugehen. Die es natürlich dennoch weiter gibt und geben wird…
Ein Prozent von Deutschlands Bruttoinlandsprodukt (2024: ca. 4,3 Billionen Euro) wären übrigens 43 Milliarden Euro und damit 43 Prozent jener angenommenen 100 Milliarden inkriminierten Vermögens, die jedes Jahr in Deutschland gewaschen werden. Schon klar, alles keine Wissenschaft. Trotzdem…
Es würde sich also lohnen, dieses große Gerechtigkeitsthema auch als solches darzustellen und mit einer Gesamterzählung wesentliche Forderungen und Maßnahmen zu verbinden, wenn schon nicht jetzt in den Wahlprogrammen, dann spätestens im Koalitionsvertrag einer neuen Regierung:
- Das System Strafverfolgung muss mit Ausstattung, Kompetenzen und Spezialisierung vorhandener Strukturen oder durch Schaffung einer neuen, zentralen Struktur stärker in die Lage versetzt werden, (verdachtsunabhängige) Finanzermittlungen zu führen und inkriminierte Vermögen einzuziehen. Unabhängig davon, welchen Weg man geht, muss sichergestellt sein, dass die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen bestehen, ausreichend kompetentes Personal vorhanden ist und der Fokus auf operativ schlagkräftigen Strukturen liegt.
- Wir brauchen ein Instrument, um inkriminierte Vermögen deutlich einfacher als bisher einzuziehen. Der Staat tut sich schwer, verdächtige Finanzströme nachzuvollziehen und mit Möglichkeiten strafrechtlicher Vermögenseinziehung zu sichern. Wir benötigen wie andere Staaten ein Auskunfts- und Einziehungsrecht („suspicious wealth order“), um von Inhaber:innen verdächtiger Vermögenswerte zu verlangen, Auskunft über legale Quellen dieser Vermögen zu geben. Kann diese Auskunft nicht überzeugend gegeben werden, kann das Vermögen eingezogen und in das Eigentum des Staates überführt werden.[12]
- Analog zum Finanzsektor (BaFin) benötigen wir eine zentrale und wirksame Aufsichts- und Kontrollfunktion für den Nichtfinanzsektor und hier insbesondere risikoerhöhte und bargeldintensive Gewerbetreibende. Die heutige Situation mit einer de facto Nichtausstattung von über 100 verschiedenen Landesaufsichtsbehörden für Gewerbetreibende ist inakzeptabel.
- Das Transparenzregister muss weiterentwickelt werden und es braucht einen offenen Zugang für die Zivilgesellschaft.
- Zivilgesellschaftliche Einrichtungen, die sich im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität und Finanzkriminalität engagieren, sind nachhaltiger zu fördern. Wie vom Verein mafianeindanke e.V. gefordert, sollte eine zivilgesellschaftliche Beobachtungsstelle „Organisierte Kriminalität“ eingerichtet und finanziell ausgestattet werden. Gleiches gilt analog für ein einzurichtendes Steuerforschungsinstitut.
- Die Kritikpunkte aus der FATF-Deutschlandprüfung sind vollständig zu beheben. U.a. muss für die laufende Bewertung und Verbesserung der Effektivität der Geldwäschebekämpfung die notwendige Informations- und Erkenntnisgrundlage aufgebaut werden (Forderung aus dem Ampel-Koalitionsvertrag). Vohandene Forschungseinrichtungen sind zu fördern bzw. aufzubauen.
- Initiativen zur Kooperation zwischen privaten und zivilgesellschaftlichen Organisationen mit staatlichen Strukturen der Aufsicht, Strafverfolgung und Justiz sind zu fördern. Die Anti Financial Crime Alliance (AFCA) ist zu reformieren und auszuweiten.
- Überwiegend administrative und bürokratische Aufsichtspflichten aus dem Aufsichtsrecht und dem Geldwäschegesetz sind zu reduzieren. Stattdessen muss der Fokus auf effizienten, wirksamen und messbaren Anforderungen an die verpflichteten Unternehmen des Geldwäschegesetzes liegen. Den Unternehmen ist mehr eigenständige Verantwortung bei der Einrichtung und Durchführung ihrer Compliance-Organisationen einzuräumen. Gleichzeitig ist ein modernes Unternehmensstrafrecht analog zu anderen Staaten einzurichten.
Nochmal - Verbrechen darf sich nicht lohnen.
Wir dürfen die Bekämpfung der Geldwäsche und damit der Organisierten Kriminalität als eine Chance für Staat und Gesellschaft begreifen. Es ist ein Thema, hinter dem sich, wenn man es richtig und in einem größeren Kontext erklärt, breite Mehrheiten aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik versammeln können.
Es wäre weiter eine Chance, abstrakte Begrifflichkeiten wie Gerechtigkeit, Fairness oder wehrhafte Demokratie konkret mit Leben zu füllen, indem der Staat und seine Institutionen wirksam sicherstellen, dass illegale Vermögen konsequent eingezogen und gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen zugewendet werden.
[2] https://bussmann.jura.uni-halle.de/forschung/abgeschlossene_projekte/geldwaeschestudie_i_/
[4] https://polizei.nrw/sites/default/files/2025-01/241127_lagebild-finanzermittlungen-nrw_final.pdf
[9] https://www.bundeshaushalt.de/DE/Bundeshaushalt-digital/bundeshaushalt-digital.html